„Die Ignoranten“ erteilen uns eine ungeschwefelte Lektion: Wein trifft Comic

Es ist eine Graphic Novel, die uns Ethik und handwerkliche Kunst des Weinmachens näher bringt als so manches Sach- und Fachbuch. Dabei profitiert der Leser von der eigenwilligen Expertise der Protagonisten – und deren Nicht-Wissen.

Es ist eine Graphic Novel, die uns Ethik und handwerkliche Kunst des Weinmachens näher bringt als so manches Sach- und Fachbuch. Dabei profitiert der Leser von der eigenwilligen Expertise der Protagonisten – und deren Nicht-Wissen.

Es ist eine Graphic Novel, die uns Ethik und handwerkliche Kunst des Weinmachens näher bringt als so manches Sach- und Fachbuch. Dabei profitiert der Leser von der eigenwilligen Expertise der Protagonisten – und deren Nicht-Wissen.

Dies direkt zur Eröffnung: Die Lektüre dieses Buches ist dem geneigten Leser unbedingt zu empfehlen. Die Begründung für diese Vollmundigkeit wird unten nachgereicht. Empfehlen möchten wir zudem eine besondere Art der Lektüre von Étienne Davodeaus „Die Ignoranten“ - nämlich die trinkende. Also eine „Lesart“, bei der sich das Wandern des Auges und das Schmecken der Zunge austauschen, eine Lektüre, die flüssig den Bilder und Texten folgt, und das Sehnen nach den beschriebenen Weinen in der mitfühlsamen Kehle spürt. Diese Verbrüderung von Trinken und Lesen, die der Comic bereits im Untertitel nahelegt, folgt einer ernsten Absicht.

Wenn die Franzosen einen Comic zum „Weinbuch des Jahres“ küren (2012), gibt dies zunächst zu zwei Vermutungen Anlass. Erstens, das Buch thematisiert eine Facette der nationalen Weindebatte, die den Nachbarn gerade besonders auf den Geschmacksnerven liegt. Und zweitens: Dass es ein Comic ist, liegt nicht nur an der besonderen Güte der „Ignoranten“ sondern auch an einer augenscheinlichen Affinität von zeichnendem Erzählen und trinkender Leidenschaft. Entscheidend aber ist, dass das unverstellte Erklären des Comics auch den Zugang zu Wein, genauer zu vin naturel, neu öffnet. Das ist ein Verdienst – und kein geringes.

Brüder im Geiste

Ganz konventionell nehmen sich die Pfeiler aus, auf denen Davodeau die Brücke zwischen Wein und Comic gründet. Die beiden Ignoranten – der eine weiß nichts vom Weinmachen, der andere noch weniger vom Comic-Genre – lernen das jeweils andere Metier schätzen, weil sie darin die eigenen, gleich hohen Ansprüche an Handwerk und Qualität erkennen, aber auch, indem sie die Leidenschaft des Herstellens und die leicht paranoide Lust am Kontrollieren der Herstellung als Gemeinsamkeit ausmachen. Mit dem Winzer Richard Leroy und Étienne Davodeau finden sich zwei Brüder im Geiste.

Und als wären wir auf dem Theater, eröffnet der Comic mit einem Prolog, der beschreibt, zu welchem Pakt sich die beiden Männer zusammenschließen. Der eine soll ein Jahr lang in die Winzerlehre gehen, der andere eine Einführung in die französische Comic-Welt erhalten. Aus dieser Urszene entwickelt sich der Dialog zwischen den beiden Protagonisten, ihren sozialen Welten und Arbeitsumgebungen, zwischen Wein und Comic. „Eines Tages besuchte mich Richard in meinem Atelier. Als er mich fragte, ob denn der Verleger bestimme, welche Farben ich nehmen dürfe, wurde mir klar, dass wir beide hochspezialisiert und dennoch vollkommene Ignoranten waren. Wir lebten so nah beieinander und hatten trotzdem nicht die geringste Ahnung, was der andere den ganzen Tag lang machte“, erläutert Davodeau die Initialzündung.

Lebendige Weine

Die Analogie, auf die das Buch setzt, ist also anfangs nicht thematisch sondern auf der Gemeinsamkeit des Nicht-Wissens von Davodeau und Leroy gegründet. Was durchaus kokett ist, da beide selbstverständlich Meister ihres Faches sind. Davodeau zählt zu den etablierten Größen seines Metiers und Leroy ist schlechthin einer der Kultwinzer für biodynamische Weine in Frankreich. So schöpft sich die Klugheit der Graphic Novel ebenso aus der Expertise der Protagonisten wie aus dem Vorrecht des Ignoranten eben alles fragen zu dürfen. Letztlich kommt dies dem Leser zu gute.

So wird in Kapitel sechs „Lobrede auf den Dung“ mit Winzer-Worten dargelegt, worin der Unterschied zwischen konventionell, biologisch und biodynamisch angebautem Wein besteht. Auf die entscheidende, die Gemüter durchaus noch trennende Frage, warum denn Leroy auf die Biodynamie setze, folgt prompt der gastrosophische Treueeid: „Ich wurde auf empirische Weise überzeugt. Bitte mich also nicht um technische Erklärungen.“ Am Ende zählt einzig die geschmackliche Qualität des Weines und nicht das technische Wissen um seine Herstellung – so einfach ist das. Dabei ist die Zielvorgabe klar: „Lebendige Weine! Das ist es, wonach wir mit dieser Praxis streben.“

Nun hat es, das ist mittlerweile auch in Deutschland angekommen, mit den lebendigen Weinen eine besondere Bewandtnis auf sich. Übersetzen wir nämlich zurück ins Französische, „vin vivant“, landen wir bei einer Begrifflichkeit, die in Frankreich synonym für den bei uns so genannten „vin naturel“ verwendet wird. Da ist die Katze aus dem Sack ... was die deutsche Übertragung an dieser Stelle leider unterschlägt.

Am Schwefel scheiden sich die Geister

Aber der aufmerksame Leser, hat die Lunte der lebendigen Weine längst gerochen und darf bei den geschilderten Besuchen anderer Winzer - allen voran Jean-François Ganevet aus dem Jura und die Brüder Arena aus der korsischen Appellation Patrimonio - eine Menge über Biodynamie und naturbelassene Weine dazulernen.

Gesetzliche Verordnungen regulieren, wie viel Schwefel im konventionellen und im biologischen Weinbau eingesetzt werden darf. Die biodynamischen Winzer unterschreiten diese Werte noch einmal und der Macher eines Vin naturel versucht gar ganz auf den Schwefel zu verzichten - vor allem im Fass! Das jedoch ist die entscheidende Glaubensfrage. Wie sonst wolle man die Gärung des Weines bremsen und regulieren, heißt es. Ohne Schwefel gehe gar nichts, der Wein kippe ja irgendwann um, weiß ein konventioneller Winzer ganz sicher. Richard Leroy antwortet darauf auf seine Art: Er probiert es aus, er lässt andere von seinem ungeschwefelten Wein kosten und setzt damit letztlich wieder auf die Empirie des Schmeckens, um das Vorurteil des vermeintlich sicheren Wissens auszuhebeln. So wird greifbar, dass das französische „savoir vivre“ eben nicht nur ein Wissen um das gute Leben ist sondern vor allem das Schmecken dieses guten Lebens.

Verkostungsnotiz – mal anders

Womit wir wieder bei der trinkenden Lesart wären, die wir eingangs der Besprechung nachdrücklich empfohlen haben. Wer gar die Weine nachtrinken will, die in den „Ignoranten“ nebenbei verkostet werden, dem hilft eine Liste aller vorgestellten Tropfen. Gleiches gilt für alle, deren Interesse für die besprochenen Comics geweckt wurde. Ihnen steht eine Übersicht der erwähnten Publikationen zur Verfügung.

Eine letzte Empfehlung sei daher noch erlaubt. Lassen Sie Freunde und Bekannte das Buch lesen und treffen Sie sich mit Ihnen zu einem gemeinsamen Gespräch und Glas Wein. Denn auch eine letzte Analogie der „Ignoranten“ hat ihre volle Berechtigung: „Die Verkostung eines Buches ist vielleicht einsamer als die eines Weines. Aber beide haben gemein, dass sich ihr Geschmack im Gespräch verfeinert.“


Zum Nachlesen:

Étienne Davodeau: Die Ignoranten, Wenn Wein und Comic sich begegnen; Egmont Graphic Novel, Köln, 2013