Aus Brennerkunst und Landschaft gemixt: Brand und Likör im Cocktail

Aus Brennerkunst und Landschaft gemixt: Brand und Likör im Cocktail

Ein neues Buch zeigt kleine Brenner aus dem Südwesten ganz groß und setzt uns der ständigen Versuchung aus, mehr Obstbrand im Cocktail haben zu wollen.

Wie bei Olympia so gibt es auch bei aktuellen Buchprojekten anscheinend die Einzeldisziplinen und den Mehrkampf. Gerade erst hatten wir eine deutschsprachige Monographie zum Portwein auf dem Tisch, heute wird eine Neuerscheinung lesend verkostet, die gleich mehrere Themen zwischen die beiden Buchdeckel packt. Es geht um „Brand – neu gemixt“ aus dem Ulmer Verlag. Der Titel mit dem programmatischen Unterton ist ein Verknappung. Die ganze Aufgabenstellung verrät erst der Untertitel: „Cocktails mit Likören und Bränden aus Baden-Württemberg“. Selbst das sind noch nicht alle Inhalte, die das Buch zusammenführt – und das ist auch gut so.

Obstbrand-Musketiere aus dem Südwesten

Aber beginnen wir mit dem Team, das hinter „Brand – neu gemixt“ steht. Drei Namen firmieren auf dem Titel, letztlich sind es aber doch vier – so ein wenig wie bei Alexandre Dumas Musketieren – denn Fotograf Baschi Bender ist unbedingt auch namentlich zu nennen. Mit von der Partie sind mit Domenico Termine und Roman Koffer zwei renommierte Barkeeper mit einschlägiger Obstbrand-Erfahrung, die sich im lockeren Verbund der „Schwarzwald Bar Brigade“ zusammengefunden haben. Das Quartett komplett macht Friedrich Springob, dessen kleines Buch über „Obstbrände & Co.“ „Auf ein Glas“ bereits vorgestellt hat. In das Buch bringen die vier Obstbrand-Musketiere ihre unterschiedlichen Talente und Fertigkeiten ein, wie das bei einem guten Team so ist. In der Zusammenarbeit entsteht ein kenntnisreiches Vademecum über die Brenner-Szene in den sechs Regionen des Südwestens.

Die ersten Kapitel machen den Leser mit den Verknüpfungen des Buches vertraut. So wird erklärt, was die Landschaft mit dem Obstbrand zu tun hat, und dass diese Beziehung zu beider Seiten Vorteil ist. Die Sortenvielfalt der Streuobstwiesen schenkt den Brennern regelrechte Raritäten und Aromenwunder, die ihre Brände einzigartig machen. Andererseits hilft die Verwertung des Streuobst durch die Brenner dabei, die ebenso einzigartige Kulturlandschaft zu erhalten. Denn als Tafelobst bergen diese Früchte keinen wirtschaftlichen Nutzen.

Hoffnung aus Landschaft und Cocktails

Diese Symbiose von Landschaft und Obstbrand macht die hoffnungsvolle Sicht auf die Dinge aus, die historisch jedoch erst richtig erzählt ist, wenn der Zusammenhang mit dem Branntweinmonopol und den Betriebsformen der Abfindungs- und Verschlussbrenner klar ist. Das Branntweinmonopol läuft nämlich zum Ende dieses Jahres aus und schafft neue wirtschaftliche Rahmenbedingungen.

Das Buch sucht also auch eine Perspektive für die Brenner-Szene, die ja beileibe nicht nur aus Großen und Namhaften besteht: bei rund 17.000 aktiven Abfindungsbrennern im Süden und Südwesten der Republik nicht schwer nachzuvollziehen. Zwei Wege ins Genießer-Glück werden entworfen. Der eine führt an die Bar, der andere in die Landschaft vor Ort. Deshalb folgt der kurzen Darstellung des Brennerhandwerks auch eine gründliche Einführung in das Mixen, welche die wichtigsten Werkzeuge, Grundzutaten und Techniken erklärt. Lesen kann jeder, nachmachen, wer will.

 

 

Smokey: Des Cocktails Kern

Der Likör prunkt mit reichen Kirsch- und Mandelaromen, dazu gesellen sich Gin, Orange, Wermut und kräutriger Rauch. Ein Sommerabend am Lagerfeuer zu einem Drink "kondensiert".

Des Buches Nutzen und des Cocktails Kern

Anschließend eröffnet das Buch seine Tour durch die einzelnen Brenner-Regionen vom Schwarzwald über das Rheintal bis zur Schwäbischen Alb, vom Bodensee und dem Stuttgarter Umland bis in den Norden des Ländle, ins Hohenloher Land. Dafür portraitieren die Autoren einzelne Brenner und ihre Spezialitäten: in Bild und Wort, vor allem aber mit einem Cocktail-Rezept, das die vorab beschriebenen Brände und Geister, Liköre und Wermuts aufgreift. So bekommt man nicht nur Lust, die Landschaften zu sehen und an den Verkostungen in den Brennereien teilzunehmen, sondern ist zudem der ständigen Versuchung ausgesetzt, selbst den Shaker zu schwingen.

Das Konzept geht auf, selbst wenn der Leser trocken bleibt. Das verdankt sich den Fotografien von Baschi Bender, aber eben auch den Cocktail-Rezepten. Die als „des Cocktails Kern“ deklarierten Hinweise zum sensorischen Gerüst und dem Aromenspiel der Zutaten lassen die Begehrlichkeit gekonnt wachsen. Des Rezensenten Cocktail-Pferde gingen beispielsweise beim „Smokey“ durch, einer Kreation aus Sauerkirschlikör, Dry Gin und roten Wermut. Oder auch dem „Blutjung“, der einen Blutbirnen-Brand mit Rotwein-Beerenfrüchte-Sirup sowie Punt e Mes und Angostura vermählt.

Spätestens an dieser Stelle ist klar: „Brand – neu gemixt“ ist nicht für die einmalige Lektüre gemacht. Am besten es steht griffbereit im Regal, um Anregung zu geben: Wenn es um was Neues an der Hausbar geht, um die Suche nach einem ganz besonderen Brand oder Likör, aber auch wenn ein paar Urlaubstage im Südwesten anstehen. Die Restaurant-Tipps mag man sich woanders abholen, wo man aber einen besonderen Brand direkt beim Erzeuger bekommt, das verrät einem dieses Buch. Eine Empfehlung der Bars, die solche Cocktails mit Obstbrand auch anständig auf die Theke bringen, ist das einzige, was man deshalb vermisst.

Brand – neu gemixt
Cocktails mit Likören und Bränden aus Baden-Württemberg
Domenico Termine, Roman Koffer, Friedrich Springob
Fotografien von Baschi Bender
Ulmer Verlag, 2017
ISBN 978-3-8001-0390-4

Mehr über „Brand – neu gemixt“ beim Verlag

Mehr im Blog dazu
Schwarzes Buch mit klarem Bekenntnis: „Obstbrände & Co"

 

 

Michael Stolzke/Auf ein Glas