Elixier Noah: nach mir die Sintflut

Elixier Noah

Ein Rum Likör biblischen Ausmaßes? Mit dem „Elixier Noah“ im Glas einer Urszene der Trunkenheit auf der Spur.

Spirituosen sind, wie Weine und Schaumweine selbstverständlich auch, Kulturträger und Geschichtenerzähler – davon bin ich trinkfest überzeugt. Mit ihren überlieferten Tentakeln greifen sie weit hinein in Geschichte, Anthropologie und Philosophie, in Literatur und bildende Künste. Die Musik nicht zu vergessen, von „Summer Wine“ bis „Pass the Courvoisier Part II“. Stets rauscht es kulturell in den geistigen Getränken, wenngleich nicht so wohlfeil, wie es uns professionelles Storytelling und gekonnte Markeninszenierung glauben machen wollen. Vielmehr rangiert dieses verborgene Rauschen noch vor dem Schmecken und erst recht dem möglichen Rausch. Noch vor dem Genuss ist bereits in unseren Sinnen. Aber zweifellos ist der Konsum durchaus förderlich, um die Sicht auf den Drink und seine Geschichte zu öffnen. 

 

Elixier: likörisierter Rum

Eine dieser Tentakeln berührte mich unlängst, als ich einen Rum Likör mit dem schönen Namen „Noah“ ins Glas bekam. Es begann ganz unverfänglich, indem ich mich erst einmal um die technischen Daten des „Elixiers“ bekümmerte  so der Zweitname. Nur mal so im Überblick: Die Basis bildet ein Rum Blend aus Belize. Gebrannt wird im Column Still. Der Rum reift neun Jahre in Eichenfässern, bevor er mit dem französischen Süßwein Banyuls aromatisiert oder – gefällt mir besser – likörisiert wird. Doch mit der Süße hat es etwas Besonderes auf sich. Dem „Noah Elixier“ wird nämlich kein Zucker beigegeben, Zuckercouleur für die Farbe übrigens auch nicht. Der Süßeeindruck verdankt sich allein dem beigegebenen Banyuls. 

Dieser Vin Doux Naturel ist wiederum ein verstärkter Wein, der vergleichbar dem Portwein, seine Süße dadurch gewinnt, dass die alkoholische Gärung durch die Zugabe von hochprozentigem Alkohol gestoppt wird. Heißt im Ergebnis, mehr Alkohol, mehr Süße und Fülle. Echter Banyuls muss selbst zehn Monate im Eichenfass reifen. Der „Noah“ ist demnach ebenso aus unterschiedlichen Noten der Fassreife komponiert. Aber jetzt werde ich wohl zu kleinteilig. Allein die Mischung aus selbst gemischtem Rum aus der Karibik und fassgereiftem, verstärktem Wein aus Südfrankreich genügt, um dem Nachdenken einen bunten Schub zu geben. Einen weiteren Grund liefern die Worte. Das Elixier, das wir noch als Liebes- und Lebenselixier handeln, sowie der biblische Noah, der bei genauem Hinsehen auch nicht ohne ist. Doch dazu später. 

Stein der Weisen: von trocken zu nass

Der Podcast „GARGANTUA – Gespräche über Geist und Getränke“ ist nichts anderes als eine ebenso angeregte wie hoffentlich anregende Plauderei über solche Tentakel in die Literatur hinein. Und tatsächlich war es der Podcast, der mich zu diesem Thema verführte, als er sich jüngst E.T.A. Hoffmanns „Elixiere des Teufels“ zuwandte, und ich den passenden Drink zum Text suchte. So gibt es einige Johannisbeeren-, Kirsch- und Kräuterliköre, die das Elixier im Namen tragen. Zudem finden sich ganz viele Mittelchen, die sich mit dem Wort einen medizinischen Anstrich geben wollen. Doch keine Mischung klang für mich so verheißungsvoll wie das „Elixier Noah“. Das Wort Elixier leitet sich vom arabischen al‑iksīrarab (الإكسير) ab, das sowohl einen trockenen Stoff mit magischer Wirkung als auch einfach nur ein Heilmittel bezeichnet. Sogar etwas vom Stein der Weisen spuckt in der Wortbedeutung herum. 

 

Soweit geht es mit dem „Elixier Noah“ selbstverständlich nicht. Zumindest war ich vor dem Genuss des Rumlikörs nicht weniger weise wie nach dem ersten Glas. Allerdings verstärkte das Schmecken das Nachdenken., erhöhte es den Takt der Assoziationen. Wer also nachhören will, was das Elixier mit E.T.A. Hoffmanns Roman zu tun hat, und wieviel schaurige Wahrheit des Alkohols darin steckt, dem wird bei GARGANTUA geholfen.

Nackt und betrunken: Noah nach der Sintflut

Die Elixier-Frage hat der Podcast geklärt, es bleibt noch der Arche-Kapitän Noah. Was haben aber ein Rumlikör mit 35 Prozent Alkoholvolumen und der biblische Überlebenskünstler gemeinsam? Natürlich, den Alkohol, was sonst, und zwar in der konsequenten Anwendung bis zum Rausch und dem besoffenen Schiffbruch im Zelt. So zumindest steht es im 1. Buch Mose, 9, 20 bis 29 geschrieben.

„Noah aber, der Ackermann, pflanzte als Erster einen Weinberg. Und da er von dem Wein trank, ward er trunken und lag im Zelt aufgedeckt. Als nun Ham, Kanaans Vater, seines Vaters Blöße sah, sagte er’s seinen beiden Brüdern draußen. Da nahmen Sem und Jafet ein Kleid und legten es auf ihrer beider Schultern und gingen rückwärts hinzu und deckten ihres Vaters Blöße zu; und ihr Angesicht war abgewandt, damit sie ihres Vaters Blöße nicht sähen. Als nun Noah erwachte von seinem Rausch und erfuhr, was ihm sein jüngster Sohn angetan hatte, sprach er: Verflucht sei Kanaan und sei seinen Brüdern ein Knecht aller Knechte! Und sprach weiter: Gelobt sei der HERR, der Gott Sems, und Kanaan sei sein Knecht! Gott schaffe Jafet weiten Raum und lasse ihn wohnen in den Zelten Sems und Kanaan sei sein Knecht! Noah aber lebte nach der Sintflut dreihundertfünfzig Jahre, dass sein ganzes Alter ward neunhundertfünfzig Jahre, und starb.“

Verkostungsnotiz statt Katerstimmung: Noah-nung

Ein verkaterter Noah, der nicht gut auf seine Söhne zu sprechen ist. Danach wird es für theologische Legastheniker wie mich schwierig. Verstanden habe ich noch, dass die Sauferei dem Bibel-Helden gesundheitlich nicht abträglich war. Immerhin lebte er nach der Sintflut noch fruchtbare 350 Weinjahrgänge lang. Diesem Text hingegen bleibt nicht mehr viel Zeit, um endlich die Verkostungsnotiz des „Elixier Noah“ zu bringen. Bitte sehr.

 

Verkostungsnotiz Elixier Noah

Ganz klar, leuchtend und von hellem Mahagonny bestimmt, zeigt sich das „Elixier Noah“ im Glas. Dazu dunkle, orangefarbene Reflexe. Dicht und samtig bereits an der Nase, wenn man das so sagen darf. Trockenfrüchte, allen voran getrocknete Bananenscheiben, eine gehörige Portion Rosinen, aber auch Frischeres von Apfel und Ananas. Noch schmeichelnder im Mund, ganz den Süßeeindruck ausspielend, ohne klebrig zu sein. Die Fruchteindrücke etwas tropischer, dazu noch Toffee, Kaffee und Walnuss. Im Nachhall ebenso sanft, nochmals die Trockenfrüchte und Rosinen vorführend, anhaltend und ohne jedes Grollen.

 

 

Michael Stolzke/ Auf ein Glas