Medoc, Montaigne & Mythos: Tage im Bordelais (Teil 2)

Citè du Vin in Bordeaux

Die nächsten Etappen: Cité du Vin und Mouton, Chartrons und Haut-Brion (Teil 2 der Quarantäne-Endversion)

2. Versuch: Szeneviertel & Hochkultur

Die Cité du Vin steht bei vinophilen Touristen ganz oben auf der Sight-Drinking-List. Abgesehen davon, dass man sich solch architektonischen Schwung auch in Deutschland wünschen würde, gefällt das Museum auch deshalb, weil es das Thema Wein selbst für Biertrinker verständlich macht: grundlegend, dennoch mit Anspruch und vor allem medial eindringlich. Videoinstallationen, kleine Theaterszenen auf der Kinoleinwand, Interaktives Schalten und Walten an Schaustücken ... und alles ganz ruhig, weil jeder Besucher direkt die Audio-Führung auf die Ohren bekommt. Der entrichtete Obolus beinhaltet auch eine Weinprobe im obersten Stockwerk der Cité du Vin. Neben dem grandiosen Blick über Bordeaux werden dort auch schmale Weine verkosten.

Der einfache Entre-Deux-Mers, den es zur Erholung direkt im Bistro gegenüber gibt, ist auch nicht schlecht. Genau diese Art von Frische, Säure und Inspiration, die ein Sommertag verlangt. Denselben Trinkspaß finden Vino-Touristen wie wir in Puisseguin, im Szene-Viertel Chartrons, im chilligen Open-Air-Restaurant in Sauternes sowie im schäbigen Bistro in Bordeaux-Vorstadt. Der Blick auf die Weinkarte, allein die Auswahl an offenen Weinen, aber auch, wie der Wein empfohlen und serviert wird. Da geht uns in Deutschland einiges ab. Wein und Weingenuss sind im Bordeaux eine Selbstverständlichkeit mit kulturellem Nennwert. Klingt verstellt, macht aber Spaß, und hat erst einmal nichts mit Geld zu tun.

Das schließt Weine von außerhalb nicht aus. Wie die Gratis-Probe im Weinmuseum zeigt, was aber auch ein Abend in Chartrons vorführt. Dort gibt es zum Essen nämlich einen Crozes-Hermitage und keinen Medoc. Der Service freut sich über die Wahl, weil zumindest Weinverstand bei der Entscheidung waltet. Noch größer jedoch das Strahlen im Gesicht des Restaurantleiters des Bistrot de la Gare in Puisseguin, als er den Geheimtipp aus der unmittelbaren Nachbarschaft empfehlen darf. Man liebt hier also den Wein aus ganz unterschiedlichen Gründen. Er ist Kulturgut und alltäglicher Genuss, regionaler Stolz und kommerzielles Gut. Nicht umsonst sagt jeder Blöd als erstes Bordeaux, wenn es um Rotwein geht. Was hat der Bordelais an dieser Stelle allen anderen Weinregionen der Welt voraus? Ein Besuch in der Top Etage der Region tut Not.

3. Versuch: Marketing & Mythos

Es waren zunächst nur vier Weingüter, die 1855 in den Rang eines Premier Cru Classé erhoben wurden: Château Lafite-Rothschild, Château Latour, Château Margaux und Château Haut-Brion. Das heutzutage sicherlich bekannteste Weingut, Château Mouton-Rothschild, stieg erst 1973 in den exklusiven Club auf. Übrigens die einzige Änderung, die es in der Klassifizierung bislang gegeben hat. Grund genug, darüber nachzudenken, was Mouton-Rothschild von anderen vier unterscheidet. Macht Marketing Mythos?

Zuvor gibt es eine andere prominente Gelegenheit, jene Qualitätsversessenheit zu erleben, die vielleicht nur im Bordelais solche Blüten treibt. Eine Gelegenheit, bei der bereits der Blick auf die Fassade des Château dem „Etikettentrinker“ verrät, wo man glücklicherweise zu Gast ist. Château Haut-Brion ist Sinnbild genug für den unglaublichen Aufwand, den man für knapp 100.000 Flaschen im Jahr betreibt. Es ist das älteste, aber auch das kleinste Weingut der fünf Premier Cru Classé-Châteaux. Im önologischen wie ökonomischen Gleichschritt folgt mit La Mission Haut-Brion eine weitere Prestige-Lage in Pessac – getrennt nur durch eine Landstraße. Unvergesslich bei all der routinierten Zuvorkommenheit, die spürbar ist bei dieser Visite in der Top-Etage der Appellation: Uns zu Ehren wird tatsächlich jeweils eine Flasche des 2011er Jahrgang von Haut-Brion und La Mission Haut-Brion geöffnet – Marktwert rund 800 €. Ist es Bestechung, um am Mythos teilzuhaben? Oder nur ein großes Weinglück?

 

Doch es geht vermeintlich noch besser. Bei Château Mouton-Rothschild wird noch einmal der geologische Witz vom Hügel erzählt. Der Name Mouton leitet sich aller Bildsprache zum Trotz nämlich nicht vom Hammel ab, sondern von einem kleinen Hügel, dem „Mouton“, ab. Er bildet den Fluchtpunkt aller Dinge. Der Qualität seiner Reben verdankt er den kleinen, weinwahren Kern, der den Mythos Mouton stiftet. Es ist also eine bewusste Abweichung, die den falschen Hammel oben auf den echten Hügel setzt. Der inszenierte Fetisch kann einfach mehr als nüchterne 24 Meter über Meeresniveau. Gelernt!
    
Das Inszenierte ist Prinzip. Bei dem Gang durch das Château, das Museum und die technischen Anlagen ist das Theater immer wieder ein bewusst gesuchter Bezugspunkt bei Mouton Rothschild. Gekappte Perspektiven, die Fässer als Zuschauer samt Bühne für den Impressario: Nicht nur im wirklichen Leben der Familie Rothschild tauchen immer wieder Regisseure, Theaterdirektoren und Bühnenbildner auf. Vielmehr sind sie zum fixen Teil der Inszenierung geworden. Oder treffen wir nur auf ein Promi-Network der ersten Stunde? Auf sich vernetzende Influencer quasi, bevor dieser Begriff überhaupt in der Welt war? Man schaue nur auf diese imposante Liste der Künstler, die seit 1945 die Etiketten des Spitzenweins des Château zusätzlich adeln. Wein ist Kunst ist Wein.

Wichtig also, dass bei diesem Deal Mouton Rothschild die symbolische Augenhöhe und Gleichwertigkeit wahrt: Die Künstler werden in Naturalien bezahlt, nicht in Geld. Die Originale der Etiketten landen natürlich im Museum des Château: von Dalí bis Richter, von Picasso bis Hockney. Da bleibt offen, wem dieses Geschäft zum Vorteil gereicht. Erst recht, wenn die kleine Fassprobe, die uns kredenzt wird, im Netz für über 500 € gehandelt wird.

 

4. Versuch: macht klug

Im Billig-Flieger gibt es wieder die allseits unbeliebte Europa-Cuvée. Der Kontrast könnte kaum größer sein, denn das Hin- und Rückflug-Ticket für diesen Mythos-Trip kostet nur einen Bruchteil der offiziell verkosteten Weine. Ist das die Lehre aus Bordeaux? Dort hinkommen ist einfach, fast vorgezeichnet. Dort zu bleiben, muss man sich leisten können und wollen. Wir aber haben zumindest eine Runde Versuch und Versuchung gedreht. Folgt man Michel de Montaigne sollte es nicht die letzte sein – um noch klarer zu sehen.

 

Backlink

Teil 1 der Reise ins Bordelais

 

 

Michael Stolzke/Auf ein Glas