Bummel durch Beaune: Die Weinbar als realexistierendes Burgund

Weinversteigerung des Hospices de Beaune
Draußen wartet die heimische Anhängerschaft, drinnen sitzt das feinere Publikum und die ausländischen Investorenschaft.

Das Burgund ist immer eine Weinreise wert. Diese führt zur Weinversteigerung des Hospices de Beaune und in die Weinbars der Stadt. Eine Gaumenzeugenbericht mit caritativer B-Note.

Das Burgund ist immer eine Weinreise wert. Diese führt zur Weinversteigerung des Hospices de Beaune und in die Weinbars der Stadt. Eine Gaumenzeugenbericht mit caritativer B-Note.

Anfangs steht uns die Ironie im Wege. Es bleibt für einige Augenblicke offen, ob der unbekannte Russe an der Theke nur feixen will oder tatsächlich Streit sucht. Wir ernten einen argwöhnischen Blick von Laurent, dem Wirt des „La Dilettante“. Als Laurent bemerkt, wie wir uns mit Monsieur Nastrovje darauf einigen, eben als Konkurrenten auf das Pommard-Fass zu bieten, fällt er beruhigt in seinen Sommelier-Modus zurück und trottet zum Weinschrank.

Das „La Dilettante“ in der Rue de Faubourg Bretonnière ist proppenvoll, auch was die Anzahl der Gäste betrifft. Direkt neben der Tür besetzt eine dänische Truppe den langen Tisch, deren offensichtlich großzügiges Spesenkonto dem legendären Ruf der „Trois Glorieuses“ verfallen ist. Das Wochenende rund um den dritten Sonntag im November mit der Weinversteigerung des Hospices de Beaune ist ohne Zweifel das Highlight des Jahres und weltweit werbendes Aushängeschild der Stadt. Zu diesem Termin macht die interessierte Weinwelt in Beaune Station, um beim Bieten auf die berühmten Fässer zumindest dabei zu sein – siehe die Dänen, Dimitri und uns. Traditionell eröffnet das Spektakel die Gelegenheit, sich durch Gespräche, Besuche und Verkostungen einen ersten Eindruck vom aktuellen Jahrgang zu verschaffen. Der Preis bei der Versteigerung lügt nicht, man muss ihn nur umrechnen können. Dagegen meint es der vorab per Pressemitteilung veröffentlichte Erntebericht eh immer gut mit den Weingütern und den Weinen.

Die Dänen interessiert der aktuelle Jahrgang weniger, dafür halten sie sich flaschenweise an den wunderbaren Chardonnays und Pinot Noirs von Laurents Karte gütlich. Mit zerstreut wirkendem Understatement kredenzt der Weinbar-Besitzer seine Flaschenware, lässt probieren und verliert beim Einschenken noch ein paar weineinheimische Worte. Vor dem Romanée-Conti für läppische 6.000 Euro scheut die dänische Kreditkarte dann doch. Dennoch verlassen die nördlichen Tischnachbarn glücklich und mit einer dreistelligen Rechnung das „La Dilettante“. Da ist Dimitri schon weg.

Das Glas als Format der Versuchung

Aber Beaune kann auch anders und gute Weinbars erst recht. Bereits am Abend zuvor weht der vinophile Zufall Kollegen Weinlakai und mich in das „Bistrot Bourguignon“, wo wir den perfekten Welcome-Drink finden. Und gleich mehrere, denn die offenen Weine laden zu einer kleinen Ortsbesichtigung des Burgunds ein. Die Weinbar lebt halt vom Glas als Format der Versuchung. Klein genug, um nicht zu viel zu sein, zu wenig, um schon befriedigt zu sein. Aber Vorsicht, wer verschiedene Weinbars besucht, stellt fest: hier liegt der Teufel des Details im Maß. Von standard-dogmatischen 0,1 über 0,125 bis zu großzügigen 0,15 Liter kommen uns unter. Ein Glas ist eben nicht ein Glas ist eben nicht ein Glas. Und bei Preisen von 4,50 Euro bis über 15 Euro für das gepflegte Schlückchen kommt man schon mal ins rechnende Grübeln.

Aber solche Weinmädchenrechnung ist in Beaune nicht angesagt. Der Burgunder, jener Wein, der in der deutschen Heimat Kultgegenstand ist – hier gibt es ihn als Chablis und Chalonnaise, als Côte de Nuits und Côte de Beaune offenen an der Theke. Im real existierenden Burgund à „La Dilettante“, „Bistrot Bourguignon“ oder „La Buissonnière“ werden deutsche Träume wahr. Fakt!

 

 

Ein anderes Kaliber: une pièce

Bei der Weinversteigerung des Hospices de Beaune geht es um eine ganz andere Größenordnung. Unter den Hammer kommen hier Fässer, die sogenannten Pièces. Sie fassen 228 Litern, was auf ungefähr 288 Flaschen (0,75 L) hinausläuft und erzielen Preise bis 200.00 Euro – für das sogenannte „Pièce des Présidents“. Bei der diesjährigen Versteigerung in Beaune wechseln 470 Fässer Rotwein und 126 Fässer Weißwein den Besitzer und bringen dem Hospices rund 8,19 Millonen Euro ein. Auch das ist das real existierende Burgund, was nahezu phantastische Züge annimmt, sobald man sich den Großen der Region und ihren Weinpreisen zuwendet; siehe Romanée-Conti.

Selbstverständlich bieten wir nicht auf ein Fass Pommard mit. Das Pièce aus einer der 28 Premier Cru Lagen der Appellation Pommard an der Côte de Beaune" In den Wein haben wir uns verguckt, als wir Tags zuvor Bouchard Aîné et Fils das Glück hatten, einen 2003er Hospices de Beaune zu verkosten. Jetzt bildet die phantasievolle Versuchung des Gedankenspiels einen wohltuenden Filter beim Verfolgen der Versteigerung. Das Fernsehen ist da, die Versteigerung wird auf den Vorplatz des Hôtel-Dieu übertragen, wo die heimische Anhängerschaft bereits Wein trinkend wartet. Drinnen sitzt das feinere Publikum und die ausländischen Investorenschaft. Das Auktionshaus Christie's organisiert das Bieterspektakel und ganz stereotyp flankiert eine Reihe Telefone die Sitzreihen, um die Interessenten aus Fernost und anderswo zu bedienen. Dann geht es los, nach einleitenden Worten tritt der Auktionator ans Pult und der Singsang des Versteigerns hebt an.

Was bei all dem Trubel nicht in Vergessenheit geraten darf, die Versteigerung verfolgt einen karitativen Zweck. Der Erlös finanziert das Krankenhaus der Stadt, mit den Einnahmen aus dem Wein wird auch das Hôtel-Dieu als Museum betrieben. Die Konstellation aus Wein und Caritas hat eine Tradition, die jede Sozialversicherungsanstalt „neu“ aussehen lässt. Bereits im 15. Jahrhundert gegründet, vermachten die Besitzer von Weinbergen immer mal wieder einen Teil ihrer Rebfläche dem Hospices. Über die Jahrhunderte sind auf diese Art fast 60 Hektar zusammengekommen, rund 85 Prozent davon Premier Cru- und Grand Cru-Lagen. Ein verlässliches Stiftungskapital, das nachhaltig für Liquidität sorgt.

Weinetikett mit Dreisatz

Wir unterstützen das soziale Anliegen, indem wir in die nächste Weinbar abwandern und uns dem Hospices de Beaune in seinem roten, flüssigen Aggregatzustand widmen. Bei der Materie verwirrt, dass es Weine des Hospices de Beaune gibt, die direkt aus dem Keller des Hospices stammen und Weine, die sich gleichfalls Hospices de Beaune nennen, aber offensichtlich aus einem anderen Haus stammen wie zum Beispiel Bouchard Aîné et Fils. Und dann gibt es sogar noch Weine, auf denen gleichzeitig ein dritter Name erscheint. Comment?

Um dies zu verstehen, müssen wir zu der Versteigerung der Fässer zurückkehren. Mit dem Erwerb des noch nicht fertig vinifizierten Fasses sucht sich der neue Besitzer nämlich auch ein Weinhaus aus, das für ihn den weiteren Ausbau des Fasses übernimmt. In diesem Fall erscheinen dann die Namen des Besitzers des Fasses, des Weinhauses und des Hospices de Beaune auf dem Etikett. Nun kommt es vor, dass eines dieser Weinhäuser, in unserem Beispiel Bouchard Aîné et Fils, selbst ein Fass ersteigert. Dann zeigt das Etikett „nur“ zwei Namen. Und dann gibt es noch die Weine, die vom Hospices de Beaune in Eigenregie kreiert werden. Alles klar?

Nun denn, es bleibt nicht bei unserem Besuch im „La Buissonnière“. Wir machen noch einmal den geübten Dreisprung und landen nach zwei Gläsern im „Bistrot Bourguignon“ zuletzt wieder in der ersten Station dieser glorreichen Tage. Keine Dänen, kein Dimitri, nur Dilettanten. Am Nachbartisch sitzt nun eine Gruppe heimischer Nachwuchstrinker, die mit ihren knapp zwanzig Jahren bereits versiert mit Karte und Glas umgehen. Wir fühlen uns wohl im real existierenden Burgund. Und sollte man sich eines Tages entscheiden müssen, um drei Dinge für die redensartliche Insel auszuwählen, dann darf eine Burgunder reiche Weinbar aus Beaune nicht fehlen. Vielleicht nimmt man aber auch alle drei mit.


Die Links zur Bar

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Michael Stolzke/Auf ein Glas

Das Hôtel-Dieu in Beaune
Im Mittelpunkt der „Trois Glorieuses“ das Hôtel-Dieu.